top of page
>>Frei sein<<   (Januar 2016)

Mein Name ist Kalle und ich wurde vor vier Jahren an einem Ort geboren, den ich seit diesem Tag hasse. Seit jenem Tag sah ich meine Box, sah Dunkelheitund spürte Enge und Einsamkeit. Meine Mama, die sah und spürte ich nur sehr kurz, dann wurde ich ihr genommen – sie wurde mir genommen. Ich durfte nicht jung sein. Ich durfte nicht das unbeschwerte Leben eines Fohlens auskosten, nicht mit Freunden auf der Koppel toben, keine Freiheitgenießen.

Freiheit – ich habe sie dort nie kennengelernt. Stattdessen kannte ich meine Box, in der ich 22 Stunden am Tag verbrachte. Und ich lernte die Reithallekennen, in der ich 110% geben musste. Leistung bringen, dafür wurde ich geboren. Ich sollte springen. Hoch, höher, am höchsten! Um Geld zu bringen, viel Geld. Keiner interessierte sich für meine Bedürfnisse.

Ich wünschte mir, ich könnte endlich die Freiheit kennenlernen.

Und dann wurde es wahr.

Mein größter Traum wurde wahr!

Ich wurde verkauft und bekam die Freiheit und das Leben geschenkt.Ich wurde gefunden von einem wunderabaren Menschen, bei dem ich Pferd sein darf. Der mir das gibt, was ich brauche.

Und nun stehe ich hier, mitten in der Natur. Auf einer großen Koppel, mit saftigem Gras und weichem Erdboden. Ich kan die Vögel zwitschern hören undspüre die frische Luft, die meine Nüstern einatmen. Hier gehöre ich hin. Das ist es, was mich glücklich macht.

Ich genieße jede Einzelheit und nehme jedes Detail wahr.

Der kühle Morgennebel kündigt einen wunderschönen Tag an und in der Ferne wartet ein atemberaubender Sonnenaufgang auf seinen Einsatz.

Ich freue mich auf diesen Tag. Ich freue mich auf jeden Tag. Denn ich bin frei. Ich wurde aus der Gefangenschaft gerettet.

 
>>Erinnerungen<<   (November 2015)

Meine Hände zittern. Der Regen tropft in mein Gesicht. Mein Atem geht schneller.

„Na was ist?“, meine Freundin Jessy hält mit ihrem Rad an und dreht sich zu mir um „Kommst du?“. Ihre Wort kommen nur dumpf zu mir durch. Meine Gedanken überschlagen sich. Mein Puls geht schneller. Ich will wieder aufs Rad steigen, in die Pedale treten, weg von diesem Ort. Bloß weg von hier! Doch meine Beine gehorchen mir nicht. Ich kann nicht, bin wie gelähmt.

Plötzlich steht Jessy vor mir: „Mensch Klara, was ist denn los?“. Ich will ihr in die Augen schauen, doch mein Blick trifft sie nicht, geht einfach durch sie hindurch. „Klara?!“, Jessys Stimme scheint lauter zu werden. Sie packt mich, rüttelt mich. Dann hält sie inne. „Du weinst ja.“. Jessy nimmt mich in den Arm. Sie drückt meinen Kopf an ihre Schulter und streichelt meinen Rücken. Minutenlang stehen wir so da, während der Regen auf uns prasselt. Ich lasse es einfach mit mir geschehen.

Langsam, ganz langsam beginne ich mich zu beruhigen. Ich taue wieder auf, komme wieder an im hier und jetzt. „Ich glaube, ich muss dir was erzählen...“, whispere ich. Ich habe meine Stimme kaum wieder unter Kontrolle, aber Jessy scheint mich zu verstehen. Sie nickt nur leicht und löst sich von mir.

Ich hole tief Luft.

Und dann beginne ich zu erzählen. Ich erzähle von dem Tag vor drei Jahren, von dem Tag, der mein Leben veränderte.

Ich erzähle von meiner Ponystute Mimi. Mimi...mein Kummerkasten, mein Sorgenfresser, mein Trostpflaster. Ich erzähle von meiner geliebten Mimi und von dem Auto. Und ich erzähle von dem Mann hinterm Steuer. Dem Mann, der viel zu schnell fuhr.Ich erzähle Jessy, worüber ich bisher nicht in der Lage war zu sprechen, von dem schrecklichen Unfall und dem schlimmsten Verlust, der mir widerfahren konnte.

Endlich kann ich mein Schweigen brechen! Es tut weh, doch das Reden tut auch gut. Die Worte sprudeln nur so aus mir heraus. Als ich fertig bin, atme ich erleichtert aus und schaue mich um.

Es hat aufgehört zu regnen.

bottom of page